Donnerstag, 30. Juli 2009

contemporary artists - "skandalöse nuditäten"


Die Akte von Lilli Hill polarisieren: Die dem Schlankheitsideal entgegengesetzte, detaillierte Nacktheit mag verschrecken. Die fast unmögliche Leichtigkeit der Posen und die realistische Eindrücklichkeit der Haut und des Ausdrucks dagegen faszinieren. Die in dünnen Schichten aufgetragene Farbe in der Technik alter Meister schafft rücksichtslose, aber dennoch wegen der Lasur nicht grelle oder pornographische Effekte.
Ein Bekannter, dem ich diese Bilder zeigte fand sie hingegen demoralisierend; Ziel der Kunst sei es ein Ideal zu verkörpern und den Menschen zur Verfolgung desselben anzuhalten. Die Bilder von Lilli Hill könnten doch aber durchaus als Ideal eines leichten, stolzen Umgangs mit dem Körper interpretiert werden. Aber vor aller Interpretation entfalten die Bilder bereits ihre Wirkung: Zuallererst vielleicht abstoßend, vielleicht faszinierend, bei längerer Betrachtung beruhigend, aber auf jeden Fall emotional berührend und zur Auseinandersetzung einladend.

Dienstag, 28. Juli 2009

blumen- und fruchtstücke

Sehen wir nicht den Humor als offenkundiges Zeichen von Lebensbejahung? Bei Jean Paul allerdings ist er derart ironisch-sarkastischer Natur, dass er alles - wenn auch liebevoll - hinterfragt. Seine prägnante, aphorismusartige Schreibweise zeichnet sich gerade durch dieses "über alles stehen" aus. Er erzählt nicht nur von dem Armenadvokaten Siebenkäs, dessen Verehelichung, Scheidung und Wanderschaften, sonder spickt die Erzählung mit Blumenstücken - surrealistischen Traumsequenzen - und Fruchtstücken - philosophischen Einschüben. Diese Komposition auch als blumig, fruchtig, quasi unbeschwert heiter zu bezeichnen fällt schwer, aber er trifft so ätzend kurz und überdeutlich den Kern einer Sache, dass man sich das Schmunzeln häufig nicht verkneifen kann? Aus Siebenkäs zur Illustration die folgenden Auszüge:
"Einen solchen Fürstenbund zweier seltsamer Seelen gab es nicht oft. - Dieselbe Verschmähung der geadelten Kinderpossen des Lebens, dieselbe Anfeindung des Kleinlichen bei aller Schonung des Kleinen, derselbe Ingrimm gegen den ehrlosen Eigennutz dieselbe Lachlust in der schönen Irrenanstalt der Erde, dieselbe Taubheit gegen die Stimme der Leute, (...)."
"(...) - wie der Haus- oder Mietherr, ein lustiger, schwindsüchtiger Sachse, durch sein Pudern und Trinken nicht in die Welt hinein lebte, sondern aus ihr heraus."
"Siebenkäs hatte das Kleine lieb, weil es in seinen Augen ein satirischer zerrbildnerischer Verkleinerspiegel alles großen bürgerlichen Pompes war."

"(...) sein Beinkleidchen und sein Röckchen und alles salzte die Weiber im Hause bloß durch den Vorübergang zu Lothischen Salzsäulen ein."
"(...) alles dieses senkte seine Seele in humorisch-melancholische Betrachtungen über unser aus farbigen Minuten, Stäubchen, Tropfen, Dünsten und Punkten zusammengestoppeltes Mosaik-Gemälde des Lebens ein."
"- Lieber Held! - Bleib aber einer! -"

"(...) weil Jakopb Oehrmann allen Menschen gerade so viel moralischen Kredit gibt, als sie kaufmännischen haben, an welches Rekrutenmaß des Wertes ihn die Kaufleute gewöhnt haben, die einander mit metallnen Ellen messen!"

"Ehemänner (...) sprechen in der ehelichen Behaglichkeit so uferlos überfließend außen mit der Frau als jedermann innen mit sich selber; vor niemand aber in der Welt wiederholt man sich öfter als vor dem eignen Ich, ohne sich das Wiederholen nur abzumerken, geschweige nachzuerzählen."

"(...) glücklich ist jeder Schauspieler im Schuldrama der Erde, dem die höhere innere Täuschung die äußere ersetzt oder verdeckt (...)"

"Nichts macht humoristischer (...) wenn man (...) wie die Perlenmuschel, die Löcher, welche Würmer in unsere Perlenmutter boren mit Perlen der Maximen vollschwitzen muß."

"Die Menschen sind so sehr in ihre Ich eingesunken, daß jeder den Küchenzettel fremder Leibgerichte gähnend anhört und doch mit dem Intelligenzblatte der seinigen andere zu erfreuen meint." (Was durchaus auch ein Problem bei Blogs ist?)

Montag, 27. Juli 2009

stille lebensbejahung

Betrachten wir Porträts Amadeo Modiglianis. Ein neutraler Gesichtsausdruck, passiv, elegisch, melancholisch? In der Ausstellung der Bundeskunsthalle Bonn sind Zitate des Künstlers selbst zu lesen, er begreift offenbar seine Gestalten als Ausdruck stiller Lebensbejahung.
Das verwundert doch, haben die Figuren nicht vielmehr Züge biometischer Passbilder - quadratisch ausdruckslos -, deren Anforderungen auf der Foto-Mustertafel des BMI detailliert beschrieben sind: "Das Foto muss die Gesichtszüge der Person von der Kinnspitze bis zum oberen Kopfende, sowie die linke und rechte Gesichtshälfte deutlich zeigen. (...) Das Gesicht muss in allen Bereichen scharf abgebildet, kontrastreich und klar sein." Auch Modigliani konzentriert sich auf das Gesicht, denn dessen Konturen sind am deutlichsten hervorgehoben, genauer auf die Linie zwischen den Augenbrauen über Nase, Kinnpartie zu dem Hals. Diese Verformung, eine allgemeingültige, immer wieder auftauschende Gesichtsformation, dominieren die Emotionen. Die biometrischen Passbilder verfolgen nun einen klaren Zweck, sie dienen der bestmöglichen Identifikation von Person. Will auch Modigliani seine Impression einer Person unverfälscht dem Betrachter nahebringen?

"Die Person muss auf dem Foto direkt in die Kamera blicken. Die Augen müssen geöffnet und deutlich sichtbar sein und dürfen nicht durch Haare oder Brillengestelle verdeckt werden." Die Universalität der Form ist bei Modigliani hingegen subjektiv verzerrt: Die überlange Nase, überlange Kinnpartie und der lange Hals prägen seine Form. Hat er Menschen so gesehen? Die pupillenlosen Augen in der Farbe des Hintergrundes scheinen den Betrachter dennoch vielsagend anzublicken. Die gewölbten Augenbrauen in dem einen Porträt signalisieren doch Bestimmtheit, während wenn ein Auge tiefer als das andere liegt der Eindruck einer nachdenklichen Pose hervorgerufen wird. Modiglianis Formensprache ist somit nicht uniform, trotz Ähnlichkeit sind subtil einzelne Charakterzüge zurückhaltend reduziert herausgearbeitet.
Modigliani zeigt so doch dann eine interessante, wenn nicht sogar paradoxe Form der Lebensbejahung: Nicht eine laute Fröhlichkeit, eine bunte Zuversicht, sondern eine in der Nachdenklichkeit und Subtilität verwurzelte Freude an Beobachtungen. Die Menschen durch das Auge Modiglianis sind in klaren Formen irgendwie hingestellt als sie selbst. Klar identifizierbar im Lichte Modiglianis. Dass dies genügt, ist doch auch eine Form der Zuversicht?

Sonntag, 5. Juli 2009

contemporary artists - taktile malerei?


Die zwischen Bildern und Objekten changierenden Arbeiten von Enrico Niemann.